Wie merkt man, dass man auf ein Burn-out zusteuert? «Gemäss der Psychotherapeutin Mirriam Priess kommt ein Burn-out nicht vom Stress allein», sagt Ricarda Caderas. Sie ist Coach und Supervisorin und bewirtschaftet mit ihrem Mann einen Hof in Luven GR. «Menschen erschöpfen sich nicht nur an der Arbeit, sondern dadurch, dass sie die Beziehung zu sich selbst verloren haben.»
In ihrer Praxis hat sie immer wieder Klienten, die kurz vor einem Burn-out sind oder nach einem Klinikaufenthalt etwas verändern müssen, um nachhaltig gesund zu bleiben. Einer von ihnen war bereit, in einem Interview anonym von seinem Erleben zu berichten.
Wie fing die Überlastung an?
«Ich habe meinen Mutterkuhbetrieb mit meiner Frau geführt. In den Sommermonaten hatte ich einen Mitarbeiter angestellt. Es kamen immer mehr Aufgaben dazu; eine Alp in Pacht sowie die Tätigkeit als Alpmeister und Kassier, dann Mitglied des Gemeindevorstandes, andere Ämter und ein Nebenerwerb in den Wintermonaten. Dann realisierten wir den Stallbau, wobei wir sehr viel Eigenleistung erbrachten. Ich gab ständig Vollgas. Als der langjährige Mitarbeiter kündigte, fanden wir im Sommer darauf keinen neuen Mitarbeiter. Die Arbeitsbelastung wurde noch grösser, also gab ich noch mehr Gas.»
Welches Verhalten nahmen Sie bei sich wahr?
«Ich war oft genervt, wurde vermehrt aggressiv, hatte Ausraster und bekam wegen Kleinigkeiten Wutanfälle. Dazu kam die ständige körperliche und mentale Müdigkeit, ich war nicht mehr so leistungsfähig wie früher. Meine Konzentration liess nach, ich machte selbst bei Routinearbeiten Flüchtigkeitsfehler.»
Wie ging es weiter?
«Eines Morgens im Stall fühlte ich mich wie ferngesteuert, sah nur Kühe, ohne den Gesundheitszustand der Tiere wahrnehmen und beurteilen zu können. Mit der Haltung, «es ist mir alles egal», fragte ich mich: Was mache ich hier? Ich realisierte: Es musste etwas ändern.»
Was haben Sie gemacht?
«Ich ging zum Hausarzt. Es folgte ein Klinikaufenthalt von drei Wochen. Nach dieser Zeit hatte ich das Gefühl, ich sei erholt und wieder parat. Nach den ersten fünf Minuten auf dem Hof merkte ich jedoch, dass es nicht ging. Mit der Familie fuhr ich fünf Tage in die Skiferien. Dieser Abstand war wichtig. Als wir zurückkamen, konnte ich die Arbeit auf dem Betrieb nur mit kleinen Schritten angehen. Ich holte mir Hilfe, doch es brauchte einige Anläufe, bis ich einen Psychiater fand, bei dem es passte. Doch um etwas zu verändern, brauchte ich einen Coach, der einen Bezug zur Landwirtschaft hatte.»
Wie wurde in den Coaching-Sitzungen gearbeitet?
«Mit dem Coach schauten wir den Ist-Zustand an: Wo findet ein Energieverlust statt, wo ein Energiegewinn. Wir führten übersichtlich auf, welche Veränderungen ich vorgenommen und welche ich bereits umgesetzt hatte. Ich wurde unterstützt, mein Ziel zu definieren. Dann ging es darum, mögliche Veränderungen durchzudenken, damit der Betrieb mit weniger Arbeitsbelastung geführt werden und trotzdem wirtschaftlich funktionieren könnte. Wir suchten und fanden Ideen, die zu meinem Betrieb und zu mir passten. Ich gewann neue Perspektiven und Impulse für Veränderung.»
Was ging in Ihnen vor?
«Nach und nach wurde mir bewusst, was mich hinderte und blockierte, gewisse Veränderungen auf dem Betrieb vorzunehmen. Mit dem Coach bearbeiteten wir Themen wie Perfektionismus, Impulsivität und Wutausbrüche, den Drang nach übertriebener wirtschaftlicher Effizienz und andere Themen. Ohne diese Arbeit an den inneren Themen wäre es nicht möglich gewesen, Veränderungen auf dem Betrieb anzugehen und umzusetzen.»
Warum nicht?
«Wenn das Muster der wirtschaftlichen Effizienz übermässig das eigene Leben bestimmt, blockiert dies die Möglichkeit, Veränderungen anzugehen, die finanziell weniger attraktiv sind. Ich lernte, mich hindernde Muster aufzuweichen und Blockaden zu lösen und mich so Schritt für Schritt dem Ziel zu nähern. Dem Ziel, den Betrieb mit meiner Frau führen zu können und dabei gesund zu bleiben.»
Wie sieht es heute aus?
«Ich bin viel gelassener, ich habe keine Wutausbrüche und Ausraster mehr, die mir jeweils sehr viel Energie geraubt haben. Die Veränderungen auf dem Betrieb konnte ich klarer und konkreter angehen. Wichtig für mich war, dass der Coach selbst aus der Landwirtschaft kommt. Sie weiss, wovon wir reden.»
Was raten Sie überlasteten Berufskollegen?
«Ich rate ihnen, so schnell wie möglich zu reagieren. Wenn man die Signale selbst nicht wahrnimmt, dann sollte man zumindest auf das Umfeld hören und die Hinweise ernst nehmen. Man sollte sofort etwas ändern und Unterstützung holen. Wenn man lange sagt, «ich sollte», verändert sich nichts. Ändern kann man nur etwas, wenn man offen ist für Neues.»
Weitere Informationen zu Ricarda Caderas: www.potenzials.ch